1. Einleitung: Was ist Vor- und Nacherbschaft?
Die Regelung einer Erbschaft ist oft komplex – insbesondere dann, wenn der Erblasser nicht nur an eine Person, sondern an mehrere aufeinanderfolgend vererben möchte. In solchen Fällen sieht das deutsche Erbrecht die Möglichkeit vor, eine sogenannte Vor- und Nacherbschaft anzuordnen.
Diese besondere Gestaltung erlaubt es, das Vermögen zunächst einem Erben (dem Vorerben) zuzuwenden, um es später an einen anderen Erben (den Nacherben) weiterzugeben. Sie ist in den §§ 2100 bis 2146 BGB gesetzlich geregelt.
2. Gesetzliche Grundlagen der Vor- und Nacherbschaft
Die rechtliche Grundlage findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB):
§ 2100 BGB – Anordnung der Nacherbfolge:
„Der Erblasser kann anordnen, dass der Erbe (Vorerbe) erst Erbe für eine bestimmte Zeit oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses sein soll und dass nach diesem Zeitpunkt oder Ereignis ein anderer (Nacherbe) Erbe sein soll.“
Diese Regelung ermöglicht dem Erblasser eine gestufte Vermögensnachfolge, bei der der Nacherbe erst nach dem Vorerben (z. B. dessen Tod) Erbe wird.
3. Ziel und Zweck der Nacherbfolge
Die Vor- und Nacherbschaft dient insbesondere dazu, das Vermögen des Erblassers langfristig zu steuern. Typische Ziele sind:
Sicherung von Familienvermögen über Generationen hinweg
Vermeidung von Einfluss Dritter (z. B. neuer Ehepartner)
Testamentarische Kontrolle über die Weitergabe von Immobilien oder Unternehmen
Sie wird häufig in Patchworkfamilien oder bei mehrfacher Ehe angewendet, z. B. wenn ein Elternteil möchte, dass der neue Ehepartner zwar abgesichert ist (Vorerbe), das Vermögen aber letztlich an die Kinder aus erster Ehe fällt (Nacherben).
4. Rechte und Pflichten des Vorerben
Der Vorerbe wird Erbe mit Einschränkungen. Er hat grundsätzlich alle Rechte eines Erben, unterliegt aber bestimmten Beschränkungen zum Schutz des Nacherben.
a) Verfügungsbeschränkungen (§ 2113 BGB)
§ 2113 Abs. 1 BGB:
„Der Vorerbe ist nicht berechtigt, über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück ohne Zustimmung des Nacherben zu verfügen.“
Auch andere Verfügungen, wie z. B. der Verkauf von Wertpapieren oder Immobilien, sind nur eingeschränkt oder widerruflich möglich.
b) Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 2130 BGB)
Der Vorerbe ist verpflichtet, die Erbschaft sorgfältig zu verwalten, darf sie aber in der Regel nicht wirtschaftlich verbrauchen.
c) Herausgabepflicht bei Eintritt des Nacherbfalls (§ 2130 BGB)
§ 2130 BGB:
„Der Vorerbe ist verpflichtet, dem Nacherben das bei Eintritt der Nacherbfolge vorhandene Vermögen der Erbschaft herauszugeben.“
Der Nacherbe hat Anspruch auf den noch vorhandenen Nachlass, nicht auf das, was der Vorerbe möglicherweise verbraucht hat.
5. Rechte des Nacherben
Der Nacherbe ist zwar zunächst noch nicht Erbe, erlangt seine Erbenstellung aber automatisch mit Eintritt des Nacherbfalls (z. B. Tod des Vorerben).
Er hat in der Zwischenzeit:
ein Anwartschaftsrecht
das Recht, bestimmte Verfügungen des Vorerben gerichtlich anfechten zu lassen
ggf. Anspruch auf Sicherheiten (§ 2120 BGB)
6. Sicherung der Nacherbfolge – Testamentsvollstreckung oder Vormerkung
Um die Nacherbschaft zu sichern, können zusätzlich Maßnahmen getroffen werden:
Testamentsvollstreckung (§ 2197 ff. BGB) zur Kontrolle des Vorerben
Vormerkung im Grundbuch (§ 51 GBO), wenn Immobilien betroffen sind
Inventaraufnahme und Nachlassverzeichnis (§ 2121 BGB) durch den Vorerben
7. Steuerliche Aspekte
Aus steuerlicher Sicht wird bei Vor- und Nacherbschaft jeder Erbfall separat bewertet – das heißt, sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe gelten als Erbe im steuerlichen Sinn.
➜ Dies kann zu doppelter Erbschaftsteuer führen, insbesondere wenn keine Steuerfreibeträge mehr zur Verfügung stehen.
➜ Eine steuerliche Beratung ist dringend zu empfehlen!
8. Abgrenzung zur Ersatzerbfolge
Die Vor- und Nacherbschaft ist nicht mit der Ersatzerbfolge (§ 2096 BGB) zu verwechseln. Bei der Ersatzerbfolge wird eine Person Erbe, wenn der ursprünglich eingesetzte Erbe wegfällt (z. B. durch Tod oder Ausschlagung).
Bei der Nacherbfolge hingegen wird bewusst eine zeitlich gestaffelte Erbfolge angeordnet, die unabhängig vom Wegfall des Vorerben greift.
9. Vor- und Nacherbschaft im Berliner Testament
Im sogenannten Berliner Testament, bei dem sich Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen und die Kinder zu Schlusserben bestimmen, liegt oft konkludent eine Vor- und Nacherbschaft vor – insbesondere dann, wenn der länger lebende Ehepartner nicht frei über das Erbe verfügen darf.
➜ Achtung: Die rechtlichen und steuerlichen Folgen dieser Konstruktion sind oft nicht gewünscht – eine saubere testamentarische Gestaltung ist essenziell.
10. Fazit: Wann ist Vor- und Nacherbschaft sinnvoll?
Die Vor- und Nacherbschaft ist ein mächtiges erbrechtliches Instrument, um Vermögen generationenübergreifend zu steuern und vor ungewollten Zugriffen zu schützen. Sie ist jedoch auch mit rechtlichen Fallstricken, Verwaltungsaufwand und steuerlichen Nachteilen verbunden.
Wer eine solche Regelung in Erwägung zieht, sollte sie sorgfältig durchdenken und juristisch begleiten lassen.
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Hinweis: Der Beitrag wurde teilweise mit KI erstellt.